Soeben komme ich von einer kleinen Reise in eine andere Landschaft, eine andere Kultur, zurück, in das Tal der quer durch Zentralfrankreich dem Atlantik zufließenden Loire. Das Loire-Tal wird durch riesige landwirtschaftliche Kulturen geprägt: Mais-, Sonnenblumen- und Getreidefelder, soweit das Auge reicht – „ horizon fields“ ganz eigener Art –, Gemüse und Obstplantagen sowie Weinorte mit klingenden Namen. Da versteht es sich fast von selbst, dass den Großteil der Arbeit Maschinen verrichten. Mit Hilfe monströser Traktoren wird gepflügt und gesät, gigantische Fahrzeuge übernehmen die Ernte. Die Traktoren gleichen übrigens jenen, die auch im Bregenzerwald da und dort über die Felder donnern. Mit dem einzigen Unterschied, dass sich bei dem, was ich im Loire-Tal beobachtet habe, nie die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, nach der Harmonie von Landschaft, Mensch und Kultur gestellt hat. Sie ist einfach da.
Genau diese Verhältnismäßigkeit, das Maß des Menschlichen, möchte ich in den Mittelpunkt meiner Erzählung über den Bregenzerwald und Gormley’s Skulpturen, lebensgroßen, eisernen, dem Menschen nachgebildeten, industriell gefertigten Körpern, stellen. „Weil jeder einen Körper hat, ist der Körper ein idealer Vermittler zwischen den Menschen. Und Eisen ist verdichtete Erde. Die Figuren oxydieren, so wie wir bluten“, sagt der britische Künstler zu seiner Installation, zu den hundert Figuren, die auf 2.039 Meter Seehöhe verstreut über 150 Quadratkilometer in den Bergen Vorarlbergs stehen. Und warum gerade dort oben? „Ich suchte einen Raum zwischen dem bewirtschafteten Gebiet und den Gipfeln der Berge.“ Also einen Raum, der dem nutzenden Zugriff der Menschen entzogen, aber noch relativ leicht zugänglich ist. Vielleicht, weil sich dort direkter fragen und unvermittelter antworten lässt: „Horizon Field stellt grundlegende Fragen: Wer sind wir, was sind wir, wo kommen wir her und wohin führt unser Weg?“