Unterdessen sitzt Michael Holland am Sechsersessellift zwischen seinen Schülern und lacht schallend über einen Witz, in dem zehnmal das Wort „Muh“ vorkommt. Mit Kindern arbeitet er lieber als mit Erwachsenen. Er springt mit ihnen über einen Hügel und sie merken gar nicht, dass man übt. Kinder analysieren nicht, fahren einfach. Erwachsene haben viel mehr Erwartungen und wollen alles verstehen. Beim Mittagessen will der neunjährige Vincent ein Pfeffersteak. Michael überredet ihn zu einem anderen Menü. Ein Pfeffersteak dauert zwanzig Minuten – zu lange.
Xaver Felder fährt mit den Südafrikanern zum ersten Mal auf den Diedamskopf. Während die Gäste das Panorama bestaunen, erinnert er sich an Zeiten, als es hier nur einen Sessellift gab. Das Mittagessen genießen seine Gäste auf der Aussichtsterrasse. Er nimmt sein Gulasch lieber allein in der Wärme zu sich, nebenher telefoniert er und klärt Fragen anderer Skilehrer. Auf seinem Hof in Schoppernau bietet er „Urlaub auf dem Bauernhof“ an, arbeitet in der Landwirtschaft und lädt im Sommer zu sehr beliebten Landschulwochen für Schüler ein, bei denen er sie in den Wald, durch den Kräutergarten und auf das Vorsäß, die Vorstufe zur Alpe, führt: „Alles zusammen ergibt ein Leben.“
Michael Hollands berufliches Leben begann in Oklahoma, wo er Betriebswirtschaft und Marketing studierte. Im Sommer managt er ein kleines Skigebiet in Australien. Er überlegte sich, nach Europa zu gehen. Aber wohin? Chamonix? Schladming? St. Moritz? Eine Zahl gab den Ausschlag: Elf Meter Schnee by nature! Eine Statistik der letzten 25 Jahre weist Warth-Schröcken und Damüls als die schneereichsten Gebiete Europas aus. Michael Holland liebt den Schnee so sehr, dass er ihm hinterherreist. Er ist ein Outdoor-Typ.
Das gilt für alle drei Skilehrer. Die Begeisterung für die Natur ist wohl, was alle Skilehrer gemeinsam haben. Und wer sich bei jeder Witterung so viel im Freien aufhält, wirkt ausgeglichener. Michael, Xaver und Bianca jedenfalls scheinen mit sich und der Welt zufrieden. Ihre positive Ausstrahlung steckt an. Selbst an ihrem einzigen freien Tag in der Woche suchen sie die Natur. Bianca zieht mit ihren Tourenski fernab der Pisten in die Berge. Auch Michael möchte allein auf einem Gipfel sein, sucht sich abgelegene Gegenden und fährt am liebsten im freien Gelände. Und Après-Ski? Xaver Felder geht seine Kühe melken. Bianca Erath fährt mit ihren Kollegen nach Hause. Und Michael Holland muss den letzten Bus um sechs nach Steeg erwischen, wo er in seinem Hotel den Abend mit Skilehrerkollegen oder vor dem Fernseher verbringt. So wie bei meiner Tante ist es heute nicht mehr. Die Gäste buchen Wellnesshotels und wollen nach dem Skifahren das vielfältige Verwöhnprogramm nützen. Da bleibt keine Zeit, mit dem Skilehrer an der Bar zu sitzen. Nur hin und wieder gibt es Ausnahmen. „Ich habe flexible Skilehrer- Kühe“, sagt Xaver Felder grinsend. „Eine extra gezüchtete Rasse. In Europa eine Minderheit. Normalerweise gehe ich um halb sechs in den Stall. Aber meine Kühe warten geduldig bis halb sieben. Sie wissen: Auch der Boss muss seine Freuden haben.“
Autorin: Irmgard Kramer
Ausgabe: Reisemagazin Winter 2013-14