Ich gehöre nicht zu den Leuten, die vom Jakobsweg träumen. Höhenmeter finde ich blöd. Trotzdem kaufe ich mir neue Bergschuhe, Wandersocken und einen bescheuerten Hut. Den Koffer packe ich mit Genuss, ich muss ihn ja nicht tragen. Vielleicht komme ich endlich dazu, „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ zu lesen.
1. Tag: Keuchend stehe ich Hochlandrindern gegenüber
An jenem Morgen im Juli wünsche ich mir Humboldts Zyanometer, um die Bläue des Himmels messen zu können. Ich fühle mich wie Hape Kerkeling und frage mich, ob ich Geschichten begegnen werde. Die liegen ja bekanntlich auf der Straße. Im Bus treffe ich eine Freundin. Sie fährt ins Fitnesscenter zum Rückentraining. Man hat ihr versprochen, in sieben Wochen schmerzfrei zu werden, das war vor einem Jahr. Wandern? Für sie unmöglich. Wie privilegiert ich bin. Mir tut nichts weh. Noch nicht. Zweimal umsteigen. Der Busfahrer arbeitet seit fünf Uhr früh. Sein Dienst dauert fünfzehn Stunden, danach muss er seinen Bus reinigen – innen und außen. Alles glänzt.
In Sulzberg geht es los. Vom Tourismusbüro habe ich eine ausführliche Wegbeschreibung bekommen. Ein Zettel, denn das soll mein Offline- Urlaub werden. Systeme herunterfahren. Seit März habe ich 116 Lesungen absolviert. Nach ein paar Metern ziehe ich das Handy aus dem Rucksack, klammere mich daran, mache Fotos, checke E-Mails, würde mir gern ein Hörbuch in die Ohren stopfen. Verflixtes Ding. Das Panorama könnte kitschiger nicht sein. Eine junge Frau in Flip-Flops schiebt einen Kinderwagen den Berg hoch. Der Milchtanker von den Käse- Rebellen kommt mir entgegen. Sonst niemand. Es duftet nach Heu und Mist. Schwalben. Meine Güte, was haben die alle ein Händchen für ihre Gärten.