Der Lyrikweg beginnt so unscheinbar wie das Schreiben selbst. Hinter dem Tennisplatz in Egg ist der Einstieg. Da geht der Pfad eine kleine Böschung hinab und führt dann entlang der Ache durch Gebüsch und Stein. Ein kleiner Abstieg genügt, um in eine andere Welt einzutauchen. Es ist noch kühl an diesem Morgen, nur einzelne Sonnenstrahlen brechen durch den Blätter- und Nadelwald, im Hintergrund die tosende Bregenzerache, begleitet von munterem Vogelgezwitscher. Da, am Wegesrand, ein oval runder Stein. Auf ihm eine Tontafel, die sich an den Stein schmiegt. So begegne ich Friedrich Hölderlin: „Eines zu sein mit Allem, das ist Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen.“
Ich halte inne vor den Worten, die vor über 220 Jahren im Briefroman „Hyperion“ niedergeschrieben worden sind. Ich habe mich nie viel mit Hölderlin beschäftigt, aber jetzt ist er hier im Bregenzerwald, direkt am Ufer der Ache. Wie seltsam, denke ich, das Leben gleicht diesem Fluss, ein ständiges Kommen und Weiterziehen, nie hält er still. Aber es gibt Gedanken, die kommen und setzen sich fest, wie ein wuchtiger Stein, der sich den Kräften des Wassers widersetzt. Sie tauchen plötzlich auf, werden erspäht und niedergeschrieben – von Menschen wie Hölderlin. Der Fotograf holt mich aus meinen Gedanken. „Komm, lass uns die Geschichte machen!“ Doris Franz ist auch schon da, wir geben uns zur Begrüßung die Hand. Sie ist die Initiatorin des Lyrikweges. Vor ein paar Jahren hat sie das Waldstück von ihrenEltern geerbt. Durch dieses führt ein Wanderpfad, der die Gemeinden Egg und Andelsbuch verbindet. Den Weg hat Doris nach ihrer Mutter benannt – Maria Erika Lyrikweg.